Der Turm

24.05.2019 - Nackte Tatsachen

 

Tag 2 des Abenteuers begann, wie Tag 1 endete, mit Regeneration. Oder war um Mitternacht doch noch jemand wach?

 

Nach dem Frühstück ging es los. Zum ersten Mal gab es auch einen gewissen Zeitdruck. Die Fahrt gegen die Uhr begann, und doch war es kein Zeitfahren im klassischen Sinn. Das Höhenprofil und vor allem die wechselnden Untergründe gaben das auch nicht her. Gesprintet wurde trotzdem, aehm, nein, doch nicht, gerollt wurde, und zwar den Berg hinab durch ein Waldstück, zunächst auf Asphalt und wenig später auf Schotter. Ein irre Spaß, wenn man 23 Milimeter breite und praktisch profillose Reifen am Rennrad hat, so wie ich.

Bis 10 Uhr mussten wir spätestens bereits in der Schlange stehen. Bevor es hoch ging, ging es da kaum voran. Und doch waren wir um halb elf auf 232 Metern Höhe über dem Boden, auf Deutschlands höchster Aussichtsplattform, auf dem ThyssenKrupp Testturm in Rottweil. Was genau das ist, wie hoch, wieviel Beton verbaut wurde, wie schnell die Aufzüge gehen, könnt ihr googlen.

Die Sicht von da oben war jedenfalls gigantisch und die Szenerie machte Lust auf die restliche Etappe, über 90 Kilometer lagen da noch vor uns.

So schnell wie wir oben waren, waren wir auch wieder unten, es fühlte sich jedenfalls so an, aber was sind schon zwei oder drei Sekunden mehr oder weniger.

 

Dann flossen Tränen - in Gedanken. Abschied. Die Gruppe musste den ersten Verlust hinnehmen. Normaler Schwund? Nein. Die falschen Prioritäten gesetzt? Diese Frage werde ich übrigens noch öfter stellen. Vielleicht.

Das spanische Cup Finale verlangte nach Valencias größten Fußballfan zwischen Obertürkheim und Lederberg. Unser Twinning-Andrés musste schnell nach Sevilla fliegen, wo am Samstag sein FC gegen Barca spielt. Ob es bei einem Abstecher bleibt und er wirklich am Sonntagmittag noch nach Uri kommt, hängt wohl vom Ergebnis ab.

 

Dezimiert machten wir uns also an ein paar nette Steigungen. Wir lagen ziemlich zurück im Zeitplan und mussten aufholen. Abschiedsszenen mit einem Spanier dauern nun einmal. Nun also 40 Kilometer ohne Pause, direkt zum Riedsee bei Donauöschingen, wo die Begleitfahrzeuge auf uns warten sollten, um uns mit Vesper zu versorgen. So war zumindest der Plan.

Doch Plan und Realität weichen manchmal voneinander ab. Und so war es dann auch. Die Radler waren am Parkplatz Surfen, wollten surfen, äääh essen, und kein Begleitfahrzeug weit und breit.

Okay, aus einem Rückstand von knapp 40 Minuten wurde ein Vorsprung von gut 10 Minuten. Aber trotzdem: Hey, ihr hattet 2 Stunden Zeit mit Autos dahin zu kommen. Und dann versumpft ihr im Biergarten und lasst uns ausgepowerte Veloisten warten. Welche Ausrede war das nochmal, der Freitagnachmittagsverkehr und Umleitungen?

Oh, da gab es ja wirklich Umleitungen und viel Verkehr. Okay, ich nehme alles zurück, erst einmal. Trotzdem, Wiederholungstäter bekommen 4 Wochen Fahrverbot. Ach ne, das war was anderes.

Die Entschädigung folgte, als sie dann da waren, so nach 5-10 Minuten. Brötchen, Obst, Powerriegel, Wasser, Cola, Saft, Bier. Dazu eine idyllische Wiese am See mit Zecken, Fliegen und Mücken, und Markus jagte der Frisby hinterher.

 

Genug pausiert. Wir wollten weiter, endlich in die lange Abfahrt gehen, Speed, Adrenallin. Wir mussten aber auch weiter. Denn auf einmal zeigte das Regenradar Gefahr von Westen kommend, eine große Front schob sich langsam in unsere Richtung. Diesmal ging das Rennen nur indirekt gegen die Zeit.

Aber erst einmal mussten wir wieder klettern, keine 200 Höhenmeter, aber es ging trotzdem gut nach oben. Oben angekommen erblickte ich schräg hinter uns tatsächlich Regen, weit weit entfernt, aber im Westen war es dunkler.

War das nun der letzte Anstieg? Ja.

Wir konnten es rollen lassen, schneller und schneller. Schneller und schneller schlug dabei auch mein Herz, vor Aufregung, vor Erregung, vor Angst.  Aber weil ich halt ein Schisser bin, ging der Tacho nicht höher als 74, und die Discs wurden recht warm. Schneller wäre auch für meine Vorfahrerin nicht so angenehm gewesen, und außerdem weiß man ja nie, ob nicht doch noch eine Bodenwelle oder ein Gullideckel oder ein Schlagloch kommt.

 

Im Wutachtal dann ging es weiter bergab, das Schlechtwettergebiet kam näher und näher, der Himmel rechts oben war schon rechtg finster. Oh, und war das nicht ein Blitz? Und Donnergrollen ganz ganz leise? Es kam näher und wir mussten es schneller rollen lassen, nun auch wieder ab und an auf Schotter. Stühlingen, Wutöschingen, weiter Richtung Tiengen.

WIr hatten gut Fahrt aufgenommen.

Und plötzlich ein Störenfried, ein Flitzer, der nicht flitzte. FKK-Rasenmähen.  Klar, es war warm. Und die Wiese musste gemäht werden. Aber bitte bitte bitte nicht einfach nur mit einem String Tanga oder weniger. Der Mann zog zurück, mitten auf den Radweg, mitten in unseren Weg. Und was sahen wir von ihm? Das was wir nicht sehen wollten. Und dieses Bild bleibt. Der Hintern bleibt. Bleibt im Kopf. Zu viele nackte Tatsachen.

Wie war der weitere Streckenverlauf? Ich weiß es nicht mehr. Ich musste mich konzentrieren. Nicht auf den Weg, der schlechter und enger wurde. Ich musste irgendwie dieses Bild aus dem Kopf bekommen.

Die Freude über die Ankunft am Hotel verdrängte es dann, und das Willkommensbier spühlte es runter.

 

Dem Regen waren wir übrigens entkommen.

Nun etwas ausruhen, duschen, regenerieren. Und dann treffen wir Rafael Sommer von den WJ Hochrhein und essen Pizza. Ich will Pizza!

 

Die Pizza aßen wir dann später auch, in fröhlicher Runde, feuchtfröhlicher Runde. Wir und WJ Hochrhein. Manche sitzen jetzt immer noch in der Runde zusammen.

Ich nicht, ich tippe hier, aber das wars, gute Nacht.